Der Winter ist eine thermiklose Zeit, heißt es. Und auf den ersten Blick scheint das auch gerechtfertigt. Die Sonne geht spät auf und früh unter. Den Tag über verbringt sie in einem recht flachen Winkel über dem Horizont. Entsprechend verteilt sich die eingestrahlte Energie auf eine größere Grundfläche. Physikalisch wird hier in Watt pro Quadratmeter gemessen. Während in Deutschland an einem wolkenlosen Tag im Sommer auf einer ebener Fläche typischerweise 900 W/m² Sonnenstrahlung einfallen, sind es im Winter gerade einmal 200 W/m². Mit anderen Worten: Die Bodenheizung schwächelt, deshalb kann ja auch keine Thermik entstehen. Oder doch?

Man schaue sich nur einmal das erste Foto an, aufgenommen am 29. Dezember 2006 am Bausenberg. Mit thermischer Unterstützung konnte man an dem Tag bis weit vor den Hang fliegen - dort wo der dynamische Hangaufwind garantiert nicht zum tragen kommen konnte.
Tatsächlich ist die Heizwirkung der Wintersonne so schwach, dass rein rechnerisch eine negative Strahlungsbilanz herrscht: Der Boden strahlt über Tag und vor allem der langen Nacht hinweg mehr Wärmeenergie ab, als die Sonne am Tage nachliefern kann. Dass es dennoch im Winter nicht mit jedem Tag immer kälter und frostiger wird, hängt mit anderen ausgleichenden Faktoren in der Wetterküche zusammen: In Nord- und Mitteleuropa wirkt v.a. der nahe Atlantik als latenter Wärmespeicher und -lieferant. In Kombination mit der vorherrschenden Westströmung sorgt er immer wieder für mildernde Umstände. Sonst hätten auch wir im Winter sibirische Verhältnisse.

Zurück zum Thema: Etwas versteckt – oder hat’s jemand schon erkannt? – habe ich in den ersten beiden Absätzen bereits das Rezept geliefert, wie trotz Energiemangel auch im Winter Thermik entstehen kann. Zwei Faktoren können dazu beitragen: Die steil einfallende Sonne oder eben lokale, latente Wärmespeicher/-lieferanten.

Eins muss man sich bewusst machen: Die Sonne strahlt im Winter nicht schwächer als im Sommer, allein ihr flacherer Einfallswinkel bedingt die kühleren Verhältnisse. Also gilt es bei der Winterthermiksuche auf Stellen zu achten, bei denen die Sonne möglichst steil ins Gelände fällt. Alle Berghänge, die auch noch nach Süden ausgerichtet sind, sind hier klar im Vorteil. Ein Rechenbeispiel: Eine Bergflanke mit 60 Grad Neigung, die von der Sonne in einem Winkel von 20 Grad beschienen wird, ergibt einen Einstrahlungswinkel von 80 Grad. Das bedeutet eine schon fast optimale Energieausbeute.

Wichtiger als exakte Zahlen sind freilich einfache Regeln. Für die Winterthermik kann man folgendes festhalten: Ein Hang wird im Winter umso thermisch aktiver sein, je steiler und je exakter nach Süden er ausgerichtet ist. Gerade senkrechte Felswände stellen dann besonders gute Thermikquellen dar. Neben der guten Ausrichtung zur Sonne kommt bei ihnen noch der felsige Untergrund als Vorteil zum tragen: Da auf steilem Fels weder feuchtes Erdreich noch Schnee liegen und stören, wird er die umliegende Luft schneller erwärmen.

Im Winter gibt es noch eine zweite interessante Thermikvariante. Was der Atlantik im Großen, können lokal auch kleinere Gewässer bewirken: Sie erwärmen die darüber streichende Luft. Flüsse wie der Rhein oder die Mosel haben selbst im tiefsten Winter i.d.R. noch eine Wassertemperatur von fünf Grad Celsius und mehr. Ihr Lauf wirkt dann als großflächige Heizfläche, was umso auffälliger wird, je kälter die Umgebungstemperatur ist. Das funktioniert sogar bei vollkommen geschlossener Wolkendecke!

Eine weitere latente Wärmequelle sind Siedlungen. Da Häuser nie vollkommen isoliert werden können, geben sie stets auch einen Teil ihrer Wärme an die Umgebungsluft ab. Kommt noch Sonnenschein hinzu, sind Gebäude gleich doppelt interessant: Wände und steile Dächer bilden gewissermaßen künstliche Felshänge, die im Winter von der Sonne im idealen Winkel beschienen werden.

Trotz solcher Möglichkeiten reicht die Winterthermik freilich kaum für Streckenflüge. Zwar können einzelne lokale Bärte an idealen Thermikstellen und bei geeigneter Luftschichtung durchaus kräftige Steigwerte aufweisen, doch die ideal ausgerichteten Steilhänge oder heizenden Wasserfläche sind zu rar gesät, als dass man auf sie vertrauend weit übers Land fliegen könnte.

Hinzu kommt ein weiterer „deckelnder“ Faktor des Winterwetters. Durch die niedrigen Temperaturen kondensiert die Feuchtigkeit schneller, die Wolkenbasis hängt somit niedriger. Herrscht einmal wolkenloses Wetter, so ist das meist einem Hochdruckgebiet geschuldet, das in der Atmosphäre mit einer deutlichen Absinkinversion daher kommt. Beide Fälle sorgen dafür, dass der nutzbare Thermikraum im Winter eher knapp bemessen bleibt.

Richtig gute und hoch reichende Winterthermik findet man deshalb normalerweise nur im Hochgebirge: Dort gibt es große, steile Felswände, die bestenfalls sogar über der Inversionsgrenze liegen. Kommt beides zusammen, kann man auch im tiefsten Winter Bärte sogar bis weit über 3000m auskurbeln. Häufig stellt dann eher die extreme Kälte in der Höhe den begrenzenden Faktor für die Piloten dar.

Doch auch in den Mittelgebirgen kann man – unter der Inversion – im Winter mit thermischer Unterstützung fliegen. Dabei gilt die Regel: Je kälter und wolkenloser, desto besser. Ideal sind steile Südhänge mit einer vorgelagerten latenten Wärmequelle als Unterstützung. Im Großraum Eifel sind z.B. Bremm (Süd, felsig-steil, warme Mosel) und Bausenberg (Süd, felsig-steil, warme Siedlung) dafür erste Wahl.

Wie wichtig und wirksam die latenten Wärmequellen im Winter sein können, zeigt sich u.a. in Boppard am Rhein. Als Osthang bekommt der Hang in der kalten Jahreszeit kaum direkte Sonneneinstrahlung ab, dennoch beweist Boppard auch im Winter immer mal wieder seine thermischen Qualitäten.

Auch hier ein Foto zum Beweis, aufgenommen am 15. Dezember 2007 kurz vor Sonnenuntergang. Die Piloten konnten an dem Tag bis weit über den Rhein fliegen und hatten dort sanftes, thermisch unterstütztes Steigen bis 150m über Start. (Foto: Jörg Franke)

In Boppard erweist sich besonders bei kalten Temperaturen (der Ostwind bringt im Winter häufig bittere Kälte mit) die weite Wasserfläche der vorgelagerten Rheinschleife als passender Wärmestrahler. Vom Ostwind an den Hang gedrückt, bleibt den erwärmten Luftmassen nichts anderes übrig als aufzusteigen. Einem ausgiebigen thermo-dynamischen Soaringflug steht dann selbst bei völlig bedecktem Himmel nichts mehr im Weg.

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