Kelly Farina
Es gibt diese berechtigte Diskussion um die Leistungssteigerung bei den Schirmen und den Leistungshunger der Piloten. Dieser ist gepaart mit der Tendenz, sich unter immer anspruchsvollere Schirme zu hängen, in der Hoffnung, damit ein paar Kilometer mehr herauskitzeln zu können. Kürzlich bin ich zu diesem Thema auf einen sehr interessanten Text von Kelly Farina gestoßen. Kelly ist ein früherer britischer Wettbewerbspilot, der heute davon lebt, Streckenflugseminare in den Alpen anzubieten. Und er hat eine sehr lesenwerte Einschätzung, warum weniger Leistung häufig mehr ist. (Das englische Original dieses Textes ist 2010 in der Zeitschrift Skywings erschienen, hat aber nichts von seiner Gültigkeit verloren. Es kann als pdf auf Kellys Homepage Austrianarena.com nachgelesen werden.) Hier eine leicht gekürzte Übersetzung als anregende Lektüre für Schlechtwettertage:

Im Laufe der letzten 15 Jahre meiner Gleitschirmfliegerei war es so, dass ich ständig nach mehr Leistung trachtete. Zugleich schien es so, dass ich meine neu erworbenen Fähigkeiten vor allem dafür einsetzte, diese heißer und heißer werdenden Flügel zu beherrschen.

Wir glauben, dass wir mit leistungsfähigeren Schirmen schneller und weiter fliegen werden. Manchmal klappt das auch, aber trotzdem machen wir noch immer die gleichen Fehler. Wir setzen einen großten Teil unserer mentalen Kapazität dafür ein, den Flügel zu kontrollieren, anstatt uns auf unser Schach-Spiel in der Luft zu konzentrieren. Kurz gesagt: Wir kompensieren unsere Unzulänglichkeiten mit dem Extra an Leistung. Und wir nutzen diese nur dafür, um die Flugfehler zu übertünchen, die wir begehen.

Anders gesagt: Je weniger Fehler wir machen, desto weniger Leistung brauchen wir.

Die üblichen Fehler machen wir in brodelnder Luft, wenn ein Teil unseres Gehirns damit beschäftigt ist, den Schirm zu kontrollieren. Wenn wir den Kopf nicht frei haben, wird es schwer, sich auf die beste Linienwahl, die Wolken und das Gelände zu konzentrieren.

Ich bekenne mich schuldig, die extra Portion Leistung als Hilfsmittel genutzt zu haben, um an den falschen Stellen nach Aufwinden zu suchen, oder mich aus einem Lee heraus zu retten - und das ist ziemlich beängstigend unter einem High-Performance-Flügel. Früher wurde ich einige Male in die Wolken gesaugt, weil ich vor lauter Kampf mit der brodelnden Luft den Kopf nicht frei hatte, um mir einen Ausweg zu überlegen. Und wenn ich in zerrissener Thermik kämpfte, sah ich nicht, dass nur 200 Meter entfernt ein anderer Pilot oder ein Vogel rasant aufstiegen. Diese typischen Fehler sind vielen Piloten vertraut.

Je mehr wir unsere Flugfähigkeiten trainieren, desto besser werden wir die Leistungsflügel beherrschen können. Man stelle sich mal vor, was passieren würde, wenn wir unsere stark verbesserte Technik und Flugverständnis nutzen könnten, ohne weiterhin diese Fehler zu begehen. Bräuchten wir immer noch diese zusätzliche Leistung? Ich behaupte: nein.

Eine der am schwersten zu erreichenden Fähigkeiten beim Streckenfliegen ist die gute Linienwahl.  Wenn man diese Linien tragender Luft über dem Gelände richtig nutzt, bringt das tatsächlich einen größeren Leistungssprung als einen Wettbewerbsflügel in anspruchsvoller Luft zu fliegen - und zwar immer. Zielbewusst auf den tatsächlichen Triggerpunkt der nächsten Thermik zuzufliegen anstatt viel Zeit und Höhe bei der Suche zu vergeuden, erhöht die Durchschnittsgeschwindigkeit. Wolken und deren Saugeffekt auf Gleitstrecken auszunutzen hilft, sich von anderen Piloten abzusetzen. Und zuguterletzt: Wer nicht in sinkende, lee-verseuchte Luftmassen einfliegt spart viel Zeit und Nerven.  Je technisch besser wir fliegen, desto weniger Leistung brauchen wir. Und ich würde sogar sagen: Weniger ist tatsächlich mehr. Oder anders gesagt: Weniger Leistung ergibt am Ende auch mehr Spaß.

Während der zehn Jahre meiner Wettbewerbsfliegerei bin ich immer heißere Protos geflogen... bis ich 2007 einen hatte, der sich als zu heiß für mich erwies. Ich hatte natürlich 1000 Entschuldigungen. Aber letztendlich war es einer dieser fiesen Totalzerstörer beim rasanten Endanflug in Bodennähe, gefolgt von einer Klapperkaskade. Das hat mir richtig Angst eingejagt. Ich merkte, dass ich einfach nicht mehr ich bereit war, mein Leben für einen Pokal und die Anerkennung meiner Freunde zu riskieren.

2009 begann ich, für meine geführten Flugtouren und auch freien Flüge einen EN-B Flügel zu nutzen. Damit ist es nicht nur für mich einfacher, meine Pilotengruppe im Auge zu behalten. Es ist auch für sie einfacher mir zu folgen. Und sie können erleben, dass nicht der Schirm, sondern der Pilot die entscheidende Größe ist. Das gibt ihnen auch ein realistisches Ziel, auf das sie hinarbeiten können.

Letztendlich hat sich meine Einstellung völlig gewandelt. Ich werde wohl keine Wettbewerbsschirme mehr fliegen. Dadurch habe ich nicht nur weniger Sorgen, sondern genieße auch das Gleitschirmfliegen viel mehr. Es ist einfacher, und so bleibt mir mehr Zeit, mich auf die passende Linienwahl, den nächsten Thermiktrigger zu konzentrieren und, was am wichtigsten ist, mich aus diesen gefährlichen Leezonen herauszuhalten. Diese Gefahren zu vermeiden ist die halbe Miete.

In der Lage zu sein, so nah wie nötig an das Gelände heranzufliegen, wohl wissend, dass da nichts Schlimmes aus heiterem Himmel kommen kann, hilft ungemein. Dieser Vertrauensbonus versetzt mich heute in die Lage so schnell voranzukommen wie wenn ich mit einer dieser nervösen Rennsicheln flöge. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich gegen starke Piloten unter heutigen Wettbewerbsschirmen wohl kaum eine Chance hätte.

Also frag Dich mal selbst: Vielleicht besitzt Du schon die Fähigkeiten auch mit einem "heißeren" Flügel zurecht zu kommen. Aber wirst Du nicht noch immer die gleichen Fehler machen? Wenn dem so ist, dann ersetzt Du Wissen durch Schirmleistung. Aber sei Dir bewusst: Je mehr Du verstehst, desto weniger Leistung brauchst Du im Grunde. Meiner bescheidenen Meinung nach ist weniger tatsächlich mehr.