Unregelmäßige Zellenbreiten sorgen für harmonische Spannungsverteilung.

Unterschiedlich breite Zellen beim Ion 3. // Bild: Nova
Im 8. Teil der lockeren Serie zu den leistungsfördernden Konstruktionsmerkmalen moderner Gleitschirme geht es um Schirme mit wechselnder Zellbreite.

Gleitschirme sind üblicherweise so aufgebaut, dass die breitesten Zellen in der Mitte des Schirmes zu finden sind und die Zellenbreite dann auf beiden Flügelseiten Richtung Stabilo kontinuierlich abnimmt. Wer sich den neuen Ion 3 von Nova einmal genauer anschaut, wird eine auffällige Abweichung von dieser "Norm" feststellen. Bei diesem EN-B-Schirm schwankt die Breite nebeneinander stehender Zellen um bis zu +/- 5 cm. Grund dafür sind keine Nähfehler, sondern ein wohl durchdachtes Konzept, um die Spannungen im Schirm homogener zu verteilen. Nova vermarktet diese Neuerung unter dem Begriff "Smart Cells".

Mit V-Tapes abgespannte "Smart Cells" sind breiter. // Bild: Nova
Gleitschirme werden durch ihre Krümmung und die daran wirkenden aerodynamischen Kräfte in die Breite gezogen. Zugleich wirken von unten die Zugkräfte des über die Leinen übertragenen Pilotengewichtes. Das Zusammenspiel dieser Kräfte sorgt dafür, dass die Zellen bzw. ihr Stoff gespannt werden. Allerdings sind diese Spannungen in einem klassischen Schirm nicht überall gleich. Typischerweise werden jene Zellen, deren Profile oben mit Diagonalbändern (V-Tapes) abgespannt sind, an ihrer Oberseite stärker gespannt als jene, an denen nur die Leinen unten am Profil ansetzen. Bei den Smart Cells wird dem Rechnung getragen: Die mit V-Tapes gestützten Zellen (in der Grafik mit einem roten X markiert) sind etwas breiter, während die anderen schmaler gebaut sind. Auf diese Weise werden Spannungsunterschiede benachbarter Zellen ausgeglichen.

Nach Angaben von Philipp Medicus, neben Hannes Papesh Konstrukteur bei Nova und der Designer des Ion 3, kann Nova mit seiner Gleitschirm-Designsoftware die Spannungsverteilung in einem Flügel simulieren und darüber die ideale Breite jeder einzelnen Zelle errechnen. Dabei spielt auch die Anordnung der Leinen bzw. der Winkel, in dem die Leinen angreifen eine Rolle.

Die Smart Cells bieten einen weiteren Weg zur Leistungssteigerung von Gleitschirmen. Durch die homogenere Abspannung der Zellen wird ein Flügel mit Smart Cells in Spannweitenrichtung steifer. Die Energie, die einem Flügel beispielsweise durch kleine Turbulenzen zugeführt wird, wird dann weniger in Segeldeformationen und mehr in zusätzlichen Auftrieb umgesetzt. (Diesen Effekt beschreiben viele Piloten landläufig als "der Schirm gleitet besser gegen den Wind".)

Die zusätzliche Steifigkeit könnten Konstrukeure aber auch anders "investieren", indem sie die Krümmung des Flügels verringern (und damit die aufspannenden Kräfte reduzieren). Dadurch hat ein Flügel mehr projizierte Fläche, was wiederum die Leistung verbessert.

Smart Cells von hinten gesehen. // Bild: Nova
Interessant sind Smart Cells zur Leistungssteigerung vor allem für Gleitschirme niedriger Klassen, die wenige und vergleichsweise große Zellen besitzen. Bei leistungsoptimierten Schirmen höherer Klassen mit entsprechend hoher Zellenzahl sind die Zellenquerschnitte häufig schon so klein, dass die Spannungsverteilung automatisch ausgeglichener ist. Zudem treiben dort die Konstrukteure noch durch andere Maßnahmen wie zugsteife Querzugbänder etc. bereits großen Aufwand, um die Kräfte im Flügel bestmöglich zu verteilen.

Alle bereits erschienenen Teile der Serie Leistungsdrang:
C-Wires, Mini-Ribs, Doppel-Diagonalen, 3D-Shaping, 3D-Shaping doppelt, Längsnahtwölbkontrolle, 5-Zell-Überspannung, Smart Cells.

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