Thomas Walder // Quelle: XContest.org
Der Österreicher Thomas Walder übertraf kürzlich mit einem FAI-Dreieck über 325 Kilometer erstmals die magische 300er-Grenze. "Und das von einem Piloten, der zuvor nie mehr als 144 km schaffte?" fragte daraufhin ein verwunderter Leser im Paraglidingforum, weil er in den XC-Onlinedatenbanken der letzten Jahre keine nennenswerten Flüge Walders finden konnte. Hätte er weiter als 2010 zurück geschaut, wären ihm freilich einige frühere Rekorde aufgefallen. Im Interview mit lu-glidz spricht der mehrfache österreichische Staatsmeister über die Erfüllung eines lange gehegten Traumes.

Thomas, wie lange träumst Du schon von einem 300er FAI-Dreieck in den Alpen?
2008 war die letzte Saison, in der ich aktiv am XC-Contest teilnahm. Damals flog ich ähnlich wie heuer all meine Flüge in derselben Woche. Es waren 236, 254 und 255 Kilometer FAI-Dreicke. Der nächste Flug in jener Saison wäre als 300er FAI geplant gewesen. Leider machte mir das Wetter einen Strich durch die Rechnung.

Und dann kam so lange nichts?
Ich wusste, dass ich in den nächsten sechs Jahren nicht mehr in diesem Sinne mitfliegen werde. Ich habe ein Haus selbst gebaut, ich bin gelernter Maurer. Außerdem habe ich zwei Kinder, auch selber gemacht. Ich habe mich nur darauf konzentriert. Trotzdem habe ich davon geträumt und insgeheim gehofft, dass es niemand schafft. Ich wollte der erste sein. Das ist ja dann auch wirklich knapp ausgegangen. Gratuliere, Bernhard. (Anm.: Gemeint ist Bernhard Peßl, der nur einen Tag nach Thomas von der Grente aus ein 300-km-Dreieck flog).

Deine Flugroute sieht nicht nur nach Traum, sondern auch nach sehr genauer Planung aus.
Ich habe das Dreieck schon seit sechs Jahren im Kopf und auf der Landkarte geplant. Anfangs hatte ich es als 306 Kilometer FAI geplant. Bei der genaueren Vorbereitung im vergangenen Winter habe ich es dann aber auf 328 Kilometer ausgebaut. Falls ich es nicht mehr über den Gerlos-Pass schaffen würde, wären es dann auch in Krimmel schon 302 Kilometer.

Wie genau entspricht die geflogene Route Deiner Planung?
Zu 100 Prozent.

Hattest Du angesichts der Wetterprognosen schon beim Start gedacht, dass es über 300 Kilometer gehen könnte?
Am Abend zuvor war die Thermik für den Tag bei uns eher stabil prognostiziert. Ich hatte nicht vor fliegen zu gehen. Gottseidank wollte mein dreijähriger Sohn um 5.30 Uhr aufstehen. Da habe ich noch mal ins Alptherm reingeschaut, und dann war klar, was ich an dem Tag mache. Ich hätte bereits um 8.40 Uhr starten können, aber wie immer ist man etwas zu spät am Startplatz. Also geht es erst um 9.10 Uhr los. Die thermischen Bedingungen waren da bereits sehr gut. Allerdings war die Basis mit circa 3000 Meter um 12 Uhr eher niedrig. Durch die frühe Startzeit und den langen Tagen habe ich aber schon damit gerechnet, dass es funktionieren kann - wenn man keinen Fehler macht.

Was war für Dich die größte Schwierigkeit während des Fluges?
An diesem Tag gab es keine Schwierigkeiten. Ich war halbwegs ausgeschlafen. Es waren sehr feine und ruhige Bedingungen. Es war perfekt. Von den zwei Tagen danach kann ich das nicht mehr so sagen.

Du bist mit einem Ozone Enzo, also einem Hochleister geflogen. Glaubst Du, ein so weiter Flug wäre an diesem Tag auch mit einem niedriger qualifizierten Schirm möglich gewesen?
Nicht auf dieser Flugroute. Meiner Meinung nach ist die Route perfekt für einen Enzo oder ähnliche Geräte, da es sehr viele Talsprünge gibt und man wirklich fast alles mit Vollgas durchfliegen kann. Schirme wie der Mentor 3 oder auch der Chilli 3, die wirklich eine sensationelle Leistung haben, spielen ihre Stärken eher in Gebieten aus, wo lange Gebirgsketten aufeinanderfolgen wie beispielsweise in Südtirol. Dort sieht man ja, dass die Piloten mit Standard-Schirmen fast die gleichen Schnittgeschwindikeiten erreichen wie mit den Zweileinern.

Viele Streckenflieger setzen heute bewusst auf EN-B Schirme, weil sie entspannter zu fliegen sind. Wie nervenaufreibend ist es, 11,5 Stunden mit einem Hochleister in der Luft zu sein?
Ehrlich gesagt, ich hatte da anfangs auch meine Zweifel. Den Enzo habe ich Ende März bekommen und ihn vor diesem Wochenende erst rund zwölf Stunden fliegen können. Auch sonst habe ich wegen meiner längeren Flugpause keine großen Erfahrungen mit aktuellen Zweileinern gehabt. Trozdem habe ich sehr viel Erfahrung mit Wettkampfschirmen der früheren Generation. Der Enzo ist in punkto Sicherheit auf alle Fälle besser. Ich hatte mit dem Schirm nie einen Klapper und fühlte mich immer ausgesprochen gut - selbst an den Folgetagen, an denen es vor allem rund ums Gasteinertal sehr windig und turbulent war. Ich denke, ich habe das natürliche Talent, immer voll konzentriert zu sein, sobald ich unterm Schirm hänge. Bis die Sonne unter geht, werde ich nicht müde. Müde bin ich erst nach der Landung.

Mit den 325 Kilometern hast Du nun eine grandiose neue Marke gesetzt. Hälst Du diesen Rekord mit aktuellem Material noch für steigerbar?
Ja. Bei wirklich perfektem Wetter mit besseren Steigwerten und einer höheren Basis als an diesem 7. Juni halte ich vom Zillertal aus auch 350 Kilometer für möglich.

Am Tag nach deinem Rekord bist Du gleich wieder in die Luft, hast fast die gleiche Route gewählt, bist aber dann nach 263 km gelandet. Am folgenden Tag hast Du sogar nochmals 295 Kilometer nachgelegt. Hingen Dir da nicht die Vortagesflüge in den Knochen?
Ich habe mich beim 263 und beim 295 Kilometer Flug immer erst am Morgen entschieden fliegen zu gehen. Das Schlimmste waren jeweils die Nächte. Ich kam gegen 22 Uhr heim. Ich war zwar sehr müde, aber so aufgewühlt, dass ich nicht gleich einschlafen konnte, erst gegen halb eins. Dann wachte aber gegen halb zwei mein sieben Monate alter Sohn auf, schrie und wollte ein Fläschchen. Um fünf Uhr morgens kam noch der größere und stieg mir auf dem Kopf herum. Meine Schlafzeit betrug also nur rund vier bis fünf Stunden. Das war nicht gut. Danach ging ich rauf auf den Startplaz, zwar müde, aber sobald ich in der Luft war, war ich voll konzentriert. Die Müdikeit war weg. Ich bin halt gerne in der Luft.

Du bist schon 2004 one-way 254 km geflogen. Wie hat sich die Streckenfliegerei in diesen zehn Jahren technisch verändert?
Natürlich sind die Schirme besser und sicherer geworden. Ich komme noch aus der Zeit, wo man die Flüge besser planen musste als heutzutage. Da musste man Flugmeldungen schon vor dem Flug ausfüllen und alles mit Fotos dokumentieren. Für FAI-Dreiecke war es sehr schwierig, einen Tag gut auszunutzen. Wenn Du nicht mehr hinter den Fotosektor reingekommen bist, zählte die Strecke gleich nur noch one-way. In dieser Zeit habe ich viel gelernt. Eine Software wie den XC-Planner habe ich heuer das erste Mal endeckt. Das ist natürlich schon cool und erleichtert vieles.

Mit dem ersten 300er-Dreiecksflug gehst Du in die Geschichtsbücher der Gleitschirmfliegerei ein. Wovon träumst Du jetzt noch?
Bei wirklich gutem Wetter würde ich gerne mal die 350 Kilometer probieren. Ansonsten gibt es noch andere Flugrunden. Richtung Italien sind auch 300 Kilometer möglich, oder sogar mehr. Mal schaun was die Jahre so bringen. Ich bin ja noch jung.

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